Brodreich

1. Brodreich, Lionel
	geb. 8.3.1881 in Einhartshausen/Oberhessen
	verheiratet mit

2. Brodreich, Rosel geb. Stein
	geb. 18.1.1891 in Reichensachsen/Kreis Eschwege

Kinder:

3. Brodreich, Ernst Ludwig
	geb. 9.7.1915 in Worms

4. Brodreich, Lotte
	geb. 12.9.1922 in Worms

Famiilie Brodreich wohnte in Worms, Siegfriedstraße 19.

Lionel Brodreich war 1908 nach Worms gekommen und hat im selben Jahr zusammen mit Arthur Mayer (s. Mayer V) die Firma Brodreich und Mayer, Manufakturwaren, Kaiser-Wilhelm-Straße 24, gegründet. Außerdem waren beide gemeinsam seit 1922 Inhaber der Firma Adolf Blün, Manufakturwaren und fertige Betten, Kämmererstraße 16.

Lionel Brodreich war von 1916-1918 Soldat.

Die beiden Geschäfte der Firma Brodreich und Mayer waren in Worms gut eingeführt und gut bekannt.

Wie alle Wormser Judengeschäfte waren sie gleich nach Beginn des Dritten Reiches dem Boykott ausgesetzt. Am 1. April standen die SA-Posten vor den Geschäftsräumen und hinderten die Kunden am Betreten des Ladens. Danach sorgten immer weitergehende Behinderungsmaßnahmen für den Rückgang der Geschäfte. Deshalb gaben die Inhaber das Geschäft in der Kämmererstraße bald auf. Das Hauptgeschäft in der Kaiser-Wilhelm-Straße konnte sich trotz allem noch bis 1938 halten. Einer polizeilichen Liste vom 9.4.1938 zufolge bestand die Firma noch mit 4 Angestellten. Doch durch die Kristallnacht wurde auch der Firma Brodreich und Mayer ein Ende gesetzt. Verwüstungen durch den Pogrom und die "Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem Geschäftsleben" vom 12.11.1938 machten eine Weiterführung unmöglich. Das Geschäft ging in "arische" Hände über.

Der Sohn Ernst Ludwig, der die Oberrealschule besucht und eine Kaufmannslehre in Mainz absolviert hatte, emigrierte im Mai 1935, zwanzigjährig, in die USA. Er amerikanisierte seinen Namen, als Ernest Broderick lebte er zuerst in New York, seit 1955 in Los Angeles. Er war in der Modebranche tätig. Heute ist er Inhaber eines Geschenkartikel- und Schreibwarengeschäftes in Sherman Oaks, einem Vorort von Los Angeles. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Während des zweiten Weltkrieges war er Unteroffizier in der amerikanischen Armee im Süd Pazifik (Australien, Neu Guinea, Philippinen) im Hauptquartier des Generals MacArthur.

Auch die Wohnung der Familie Brodreich, Siegfriedstraße 19, wurde bei dem Kristallnacht-Pogrom am 10.11.1938 schwer verwüstet. Im Zusammenhang mit dieser Aktion wurden in Stadt und Landkreis Worms und Alzey 87 jüdische Männer verhaftet und ins KZ Buchenwald verschickt. Zu ihnen gehörte auch Lionel Brodreich. Die Lagerhaft dauerte für die Betroffenen zwischen einer Woche und einigen Monaten. Wann Lionel Brodreich zurückkehren durfte, ist nicht bekannt, aber Anfang 1939 zogen Brodreichs aus ihrer zerstörten Wohnung in die Renzstraße 28.

Tochter Lotte, die zunächst die Eleonorenschule, seit 1935 aber die jüdische Beziksschule besucht hatte, ging im August 1939 als Krankenpflegeschülerin nach Mannheim ins jüdische Krankenhaus in der Collinistraße. Dort wurde sie am 22.10.1940 mit allen badischen Juden verhaftet und ins südfranzösische Lager Gurs deportiert. Neun Monate brachte sie in Gurs zu, danach war sie ungefähr ein Jahr lang in einem Lager in Marseille, während ihre Auswanderungspapiere auf dem Konsulat in Marseille lagen. Es gelang ihr nicht, die Papiere zu bekommen, ehe auch Südfrankreich von den Deutschen besetzt war. Danach war es ganz unmöglich. Sie flüchtete aus dem Lager und lebte in verschiedenen Teilen Frankreichs, zuerst im Versteck, dann unter falschem Namen mit französischen Identitätspapieren. Endlich 1946 konnte sie auch in die USA einwandern. Sie heiratete den Rechtsanwalt Felix J. Bilgrey und lebt in New York.

Die Eltern Brodreich entschlossen sich spät zur Emigration. 1940 standen sie auf einer Warteliste für die USA. Doch es war schon zu spät. 1941 mußten sie noch einmal die Wohnung wechseln, sie zogen in die Hafergasse 7, wo noch mehr Judenfamilien zwangsweise untergebracht waren.

Von hier wurden sie am 24.3.1942 nach unbekannt abgemeldet. In Wahrheit aber wurden sie am 20.3.1942 mit einem Sammeltransport von Mainz nach Piaski in Polen deportiert (DepL I, Nr. 371, und 372). Von dort aus kamen sie in eines der Vernichtungslager Belzec oder Maidanec und wurden ermordet. Am 24.3.1950 wurden sie für tot erklärt.

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Quellen: Adreßbücher, KEM, AK-VHS, VerhVZ 11.11.1938, FrB 40, DepL I, Brief von Mr. Ernest Broderick vom 10.1. 1966 u. vom 5.5.1982, Brief von Mrs. Lotte Bilgrey geb. Brodreich vom 5.5.1982, Gespräch mit Mr. Ernest Broderick am 12.3.1984, BAK:Z Sg 138